Marcel Köppli

Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts

Christlicher Patriarchalismus im Zeitalter der Industrialisierung

Basler und Berner Studien zur historischen Theologie
herausgegeben von Martin Sallmann und Martin Wallraff
Band 74 – 2012

Gedruckt mit Unterstützung des Emil Brunner-Fonds, der Lang-Stiftung und des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung.

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.

ISBN 978-3-290-17621-1 (Buch)
ISBN 978-3-290-17739-3 (E-Book)

|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.

© 2012 Theologischer Verlag Zürich
www.tvz-verlag.ch

Alle Rechte vorbehalten

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Vorwort

Die vorliegende Studie ist die leicht überarbeitete Fassung meiner Dissertation «Protestantische Unternehmer in der Schweiz des 19. Jahrhunderts. Eine Untersuchung über den schweizerischen Ausschuss für die Bestrebungen der Bonner Konferenz», die im Frühjahrssemester 2011 von der Theologischen Fakultät der Universität Bern angenommen wurde. Mein Doktorvater Prof. Dr. Martin Sallmann hat die Entstehung und das Schreiben dieser Arbeit wohlwollend und kritisch begleitet und das Erstgutachten erstellt, wofür ich ihm herzlich danke. Auch Prof. Dr. Traugott Jähnichen danke ich für seine wertvolle Unterstützung und das Verfassen des Zweitgutachtens.

Dank gebührt darüber hinaus dem Emil Brunner-Fonds, der Lang-Stiftung und dem Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung für ihre Beteiligung an den Druckkosten sowie Prof. Dr. Martin Sallmann und Prof. Dr. Martin Wallraff für die Aufnahme dieser Arbeit in die von ihnen herausgegebene Reihe.

Frau Lisa Briner und dem Theologischen Verlag Zürich danke ich für die konstruktive und sorgfältige Betreuung der Drucklegung und die freundliche Zusammenarbeit. |6|

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Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Inhalt

1. Einleitung

1.1 Ziele der Untersuchung und These

1.2 Forschungsstand

1.3 Forschungstradition

1.4 Aufbau der Arbeit

1.5 Quellen

2. Die soziale Frage im 19. Jahrhundert

2.1 Die soziale Frage

2.2 Die soziale Frage und die Kirchen

2.3 Vier sozialpolitische Haltungen

2.3.1 Die sozialpatriarchale Haltung

2.3.2 Die sozialdiakonische Haltung

2.3.3 Die sozialkonservative Haltung

2.3.4 Die sozialliberale Haltung

2.4 Die soziale Frage in der Schweiz

2.5 Die soziale Frage und der schweizerische Protestantismus

2.5.1 Zürcher Kirche

2.5.2 Schweizerische Predigergesellschaft

2.5.3 Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft

2.5.4 Theologische Richtungen (Reformer, Bekenntnistreue, Vermittler)

a) Reformer

b) Vermittler

c) Bekenntnistreue

2.6 Katholizismus und soziale Frage

2.7 Fazit

3. Christliche Unternehmer im 19. Jahrhundert

3.1 Was ist ein «christlicher Unternehmer»?

3.2 Gründe für die Erforschung christlicher Unternehmer |8|

3.3 Beispiele christlicher Unternehmer in Deutschland

3.4 Beispiele christlicher Unternehmer in der Schweiz

3.5 Fazit

4. Impulse aus der Inneren Mission für die Auseinandersetzung mit der sozialen Frage in der Schweiz

4.1 Innere Mission und soziale Frage

4.2 Kongress für Innere Mission 1869 in Stuttgart

4.3 Vorbereitungstreffen für die Bonner Konferenz im Winter 1870 in Berlin

4.4 Bonner Konferenz für die Arbeiterfrage (14./15. Juni 1870)

4.5 Die Gründung der Zeitschrift Concordia

4.6 Ausrichtung und Aufgabe der Zeitschrift Concordia

4.7 Schweizerischer Ausschuss für die Bestrebungen der Bonner Konferenz

4.8 Aufnahme des SABBK durch die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft

4.9 Fazit

5. Der christliche Unternehmer Karl Sarasin (1815–1886)

5.1 Die Stadt Basel im 19. Jahrhundert

5.2 Biographische Skizze

5.3 Sarasins Schriften

5.4 Sarasins Einstellung zur sozialen Frage

5.5 Veränderungen in Sarasins Einstellung zur sozialen Frage

5.6 Sarasins Auseinandersetzung mit der sozialen Frage in weiteren Handlungsfeldern

5.6.1 Kommission für Fabrikarbeiterverhältnisse in der Gesellschaft zur Beförderung des Guten und Gemeinnützigen (GGG) in Basel

5.6.2 Der erste Basler Klassenkampf, das Basler Fabrikgesetz (1869) und eine Konferenz im christlichen Vereinshaus zur sozialen Frage

5.6.3 Industriekommission der Basler Mission

5.7 Fazit

6. Johann Caspar Brunner, Victor Böhmert und Henri DuPasquier

6.1 Johann Caspar Brunner (1813–1886)

6.1.1 Der Kanton Aargau im 19. Jahrhundert |9|

6.1.2 Biographische Skizze

6.1.3 Brunners Einsatz für das aargauische Fabrikpolizeigesetz und das eidgenössische Fabrikgesetz

6.1.4 Brunners Schriften zur sozialen Frage

6.1.5 Brunners Einstellung zur sozialen Frage

6.2 Victor Böhmert (1829–1918)

6.2.1 Böhmerts Einsatz für die Auseinandersetzung des liberalen Protestantismus in Deutschland mit der sozialen Frage

6.2.2 Biographische Skizze

6.2.3 Böhmerts Schriften zur sozialen Frage

6.2.4 Böhmerts Einstellung zur sozialen Frage

6.3 Henri DuPasquier (1815–1875)

6.3.1 Der Kanton Neuenburg im 19. Jahrhundert

6.3.2 Biographische Skizze

6.3.3 DuPasquiers Schriften zur sozialen Frage

6.3.4 DuPasquiers Einstellung zur sozialen Frage

6.4 Fazit

7. Schlussbetrachtung

7.1 Bedeutung der Ergebnisse für den Forschungsstand

7.2 Diskussion der Ausgangsthese

7.3 Forschungsdesiderat

7.4 Wirtschaftsethischer Ausblick

Anhang

Einladung zu einer Konferenz über die soziale Frage ins christliche Vereinshaus, unterzeichnet von Adolf Christ, Ernst Staehelin und Karl Sarasin

Abkürzungsverzeichnis

8. Bibliographie

8.1 Ungedruckte Quellen

8.2 Gedruckte Quellen

8.3 Sekundärliteratur

9. Register

9.1 Personen

9.2 Orte

9.3 Sachen

9.4 Bibelstellen

Fußnoten

Übersicht über die bisher erschienenen Bände der Reihe

Seitenverzeichnis |10|

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1. Einleitung

Unter der Überschrift «christlicher Patriarchalismus in der Industrie» beschreibt William Oswald Shanahan 1962, wie sich eine lose Gruppe protestantischer Unternehmer – einige von ihnen aus der Schweiz – im 19. Jahrhundert im Rahmen der Inneren Mission mit der sozialen Frage beschäftigte und welche Konzepte sie zu deren Lösung propagierte.1 In der Forschung wurde immer wieder betont, wie wichtig das Ringen dieser protestantischen Unternehmer in der Auseinandersetzung der Kirchen mit der sozialen Frage gewesen sei; gründlich erforscht wurde diese Gruppe jedoch bislang nicht. In der vorliegenden Arbeit wird nun deren Entstehung genauer untersucht und insbesondere nach der sozialpolitischen Einstellung der Schweizer Unternehmer dieser Gruppe gefragt.

Insofern leistet diese Arbeit einen Forschungsbeitrag zur Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus mit der sozialen Frage in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Sie fokussiert dabei auf diese Gruppe mehrheitlich protestantischer Schweizer Unternehmer, die gemeinsam die sozialen Folgen der industriellen Revolution analysierte und verschiedene Ansätze zur Lösung der sozialen Frage beisteuerte. Der Patriarchalismus spielte in diesem Zusammenhang eine zentrale Rolle. Die Anfänge des Zusammenschlusses liegen in der Inneren Mission in Deutschland, insbesondere am Kongress für Innere Mission in Stuttgart (1869) und an der Bonner Konferenz für die Arbeiterfrage (1870). Der Basler Unternehmer und Ratsherr Karl Sarasin (1815–1886) war nicht nur an beiden Zusammenkünften eine zentrale Person, sondern hat auch versucht, die propagierten Ideen in der Schweiz zu verbreiten, indem er einen schweizerischen Ausschuss für die Bestrebungen der Bonner Konferenz (SABBK) initiierte. Mitglieder dieses Ausschusses waren zum Teil sehr bekannte Schweizer Unternehmer, wie beispielsweise der Textilfabrikant und |12| Schöpfer der Jungfraubahn Adolf Guyer-Zeller (1839–1899) oder der Schuh­fabrikant Carl Franz Bally (1821–1899).

Damit wird ein bislang kaum untersuchter Zusammenschluss protestantischer Schweizer Unternehmer historisch nachgezeichnet, im zeitgeschichtlichen Kontext situiert und mit der bestehenden Forschung zum sozialen Protestantismus in Verbindung gebracht. Es soll zudem der Frage nachgegangen werden, inwiefern es sich bei diesen «protestantischen Unternehmern» auch um «christliche Unternehmer» handelte, welche die soziale Frage mit ihrem Engagement und durch den christlichen Glauben zu lösen versuchten. Während einerseits die Trägerschaft als Ganzes sichtbar gemacht wird, werden andererseits an ausgewählten Persönlichkeiten sozialpolitische Haltungen, konkretes Handeln und religiöse Begründungsmuster nachgezeichnet.

1.1 Ziele der Untersuchung und These

Mit der vorliegenden Arbeit sollen primär zwei Ziele verfolgt werden. Zum einen soll die Entstehung des bislang weitgehend unerforschten SABBK geschichtlich rekonstruiert, zum anderen sollen die darin involvierten protestantischen Unternehmer sozialpolitisch charakterisiert werden. Zur geschichtlichen Rekonstruktion der Entstehung des SABBK gehört dessen Verortung innerhalb des Themas «Kirchen und soziale Frage im 19. Jahrhundert», insbesondere in der Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus mit der sozialen Frage. Für die sozialpolitische Charakterisierung der involvierten Unternehmer werden diese protestantischen Unternehmer und ihre sozial­politischen Haltungen mit der Forschung zum Thema «Christliche Unternehmer» und zur «Inneren Mission» in Beziehung gebracht.

Weiter besteht das Ziel der Untersuchung darin, das Verhältnis von religiösem Denken und sozialpolitischem Handeln zu beleuchten. Dabei soll geklärt werden, was unter dem Projekt der «Christianisierung» respektive der «Humanisierung der Industrie», verstanden wurde und wie die untersuchten protestantischen Unternehmer dieses Projekt umzusetzen versuchten.

Die dieser Arbeit zugrunde liegende These lautet folgendermassen: Die protestantischen Unternehmer des SABBK kamen aus dem theologisch konservativen, erwecklich-pietistischen Lager und wollten die soziale Frage als christliche Unternehmer mit Hilfe eines betrieblichen Patriarchalismus lösen. Die zentrale Motivation ihres Patriarchalismus lag dabei in ihrem christlichen Glauben. Zum Patriarchalismus kommen jedoch auch Ansätze der sozialkonservativen Haltung hinzu, indem auch staatliche Interventionen zur Lösung der sozialen Frage als notwendig erachtet wurden. Zudem propagierten einzelne Unternehmer auch die sozialdiakonische Haltung zur Lösung der sozialen |13| Frage. Grundsätzlich führte die mehrheitlich sozialpatriarchale Haltung zwar zu eindrücklichen sozialen Initiativen, eine angemessene und wirkmächtige Strategie zur umfassenden Lösung der sozialen Frage stellte dieses Handeln jedoch nicht dar.

1.2 Forschungsstand

Wie bereits angedeutet, liegt zum SABBK bislang keine gründliche historische Untersuchung vor, obwohl verschiedentlich darauf hingewiesen wurde, dass eine solche gerade aufgrund des dürftigen Forschungsstandes zu begrüssen wäre. Josef Mooser schreibt dazu: «Die Ursachen für diese deutsch-schweizerische Verbindung [des SABBK] in der konservativ-protestantischen, grossindustriellen Sozialreform harren noch der Aufklärung.»2 Auch wenn der SABBK und insbesondere die Ursachen für dessen Entstehung noch nie gründlich aufgearbeitet wurden, so finden sich dennoch einige Monographien und Aufsätze, in denen der SABBK dargestellt wurde. Der ausführlichste Beitrag zum SABBK, insbesondere zu seiner Entstehung innerhalb der Inneren Mission, bietet die bereits erwähnte Monographie Shanahans.3 Martin Gerhardt berichtet über die Hintergründe, die zur Bonner Konferenz geführt haben.4 Unter der Überschrift «Die Bonner Industriekonferenz von 1871 und ihr Ableger in der Schweiz»5 beschreibt Erich Gruner den SABBK und seine Bedeutung für die sozialpolitische Diskussion in der Schweiz. Arthur Bernet verweist in zwei seiner Publikationen auf den Einfluss des SABBK auf die Entwicklung der betrieblichen Sozialpolitik in der Schweiz.6 Da Sarasin das wichtigste Mitglied des SABBK war, finden sich auch in Beiträgen zu seiner Person Hinweise auf diesen Ausschuss.7 In sämtlichen Untersuchungen wird betont, dass die Unternehmer des SABBK in der schweizerischen Debatte um die soziale Frage eine zentrale Rolle spielten. Worin diese Rolle bestand und welche |14| sozialpolitischen Haltungen der SABBK favorisierte, blieben allerdings bislang weitgehend unbeantwortete Fragen.

Von zentraler Bedeutung für die Darstellung des gegenwärtigen Forschungsstandes ist aber nicht allein diejenige Forschung, in welcher der SABBK explizit diskutiert wird. Es gilt auch nach dem gegenwärtigen Stand der Erforschung des sozialen Protestantismus, insbesondere der Inneren Mission und Johann Hinrich Wichern (1808–1881), zu fragen. Vereinfachend sieht Jochen-Christoph Kaiser drei Phasen: «Eine herkömmliche Sichtweise, die noch heute nachwirkt, eine revisionistische, die mit dem Aufbruch der 1968er Jahre verknüpft ist, und eine noch vergleichsweise junge, die seit etwa 15 Jahren zu diesen Fragen arbeitet und die Methodenvielfalt der Sozial-, Religions- und Kirchengeschichte integrieren will».8 Die «revisionistische» Phase macht Kaiser in der Forschung um den Bochumer Sozialethiker Günter Brakelmann aus. In dieser Phase sei herausgearbeitet worden, dass das reaktionäre und antidemokratische Politikverständnis des Protestantismus «letztlich für das Scheitern des Protestantismus vor den Herausforderungen der sozialen Frage mit verantwortlich gewesen sei».9 In der dritten Phase beobachtet Kaiser eine Wegbewegung von den «Revisionisten». Er schreibt zu dieser jüngsten Phase: Sie «entdeckt das innovative Handlungspotential Wicherns für die Entfaltung des sozialen Protestantismus und seiner gesellschaftlichen Wirkungen wieder neu. Sie argumentiert nicht auf der Folie von heute aus wünschbarer Entwicklungen, sondern nimmt zeitgenössische Aussagen ernst und ordnet die Quellen in ein gesellschafts- respektive kulturgeschichtliches Gesamttableau ein».10 Stephan Sturms Forschung zu Wichern kann dieser jüngsten Phase zugeordnet und soll hier als Beispiel angeführt werden. In seiner Dissertation betont Sturm vehement, die Innere Mission habe zeitgemäss und adäquat auf die soziale Frage reagiert. Gerade in Bezug auf die Zeit der |15| Bonner Konferenz kommt Sturm zu einer äusserst positiven Einschätzung der Inneren Mission: «Die Analyse der in der einschlägigen Forschungsliteratur häufig nur sporadisch oder gar nicht berücksichtigten Spätphase der Wichernschen Wirksamkeit zeigt darüber hinaus deutlich, dass Wichern die Spezifika der Industrialisierung durchaus erkannt und die Arbeiterfrage zu einem eigenständigen Thema der Inneren Mission erhoben hat.»11

Die vorliegende Arbeit knüpft an Brakelmanns Forschung, also gemäss Kaiser an die zweite Phase an, indem einerseits nämlich gewürdigt wird, dass der SABBK mit seiner sozialpatriarchalen, sozialdiakonischen und ansatzweise sozialkonservativen Haltung die soziale Frage als Problem erkannte. Zudem wird auch – wiederum im Anschluss an Brakelmann – kritisch davon ausgegangen, dass in der Inneren Mission die sozialpolitische Dimension der sozialen Frage nicht genügend erkannt wurde, da ihre Vorschläge sich an einem veralteten patriarchalischen Gesellschaftsmodell orientierten und deshalb die grundlegenden Veränderungen der Industrialisierung unberücksichtigt blieben. Ob die jüngste Phase und insbesondere Sturms Forschung tatsächlich wesentlich neue und nachvollziehbare Aspekte in die Diskussion eingebracht hat, soll schliesslich am Ende der Untersuchung diskutiert werden.12

1.3 Forschungstradition

Die vorliegende Arbeit schliesst in mancherlei Hinsicht an die Forschungstradition an, die unter dem Begriff «sozialer Protestantismus» zusammengefasst wird. Dabei umschreibt der soziale Protestantismus «die Vielzahl derjenigen Initiativen des neuzeitlichen Protestantismus, welche die seit den Prozessen der Industrialisierung und Demokratisierung erforderliche Neuorientierung der sozialen Gestaltung sowohl theoretisch wie auch praktisch in Angriff genommen haben. Waren es im 19. Jahrhundert zunächst Einzelne und freie Verbände, die sich dieser Aufgabe gestellt haben, wurde zu Beginn dieses Jahrhunderts [des 20. Jahrhunderts] die Bedeutung und Berechtigung dieses Arbeitsfeldes von der verfassten Kirche anerkannt und schliesslich auch unterstützt.»13 In diesem Sinn soll in dieser Untersuchung danach gefragt werden, |16| wie der SABBK und die assoziierten Unternehmer theoretisch und praktisch auf die Industrialisierung und teilweise auch auf die Demokratisierung reagiert haben und welche Lösungsansätze sie propagierten und umzusetzen versuchten. Im Zentrum steht insbesondere die Frage nach den sozialpolitischen Haltungen der involvierten Unternehmer.

1.4 Aufbau der Arbeit

Der Aufbau der Arbeit spiegelt die Ziele der Untersuchung wieder, indem nämlich eine historische Rekonstruktion der Entstehung des SABBK und eine sozialpolitische Charakterisierung der involvierten Unternehmer angestrebt und diese mit der Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus und der Inneren Mission mit der sozialen Frage in Verbindung gebracht wird.

Das vorliegende 1. Kapitel bot nach einer Zusammenfassung vorerst einen Überblick über die Ziele der Untersuchung und die These. Daran schloss eine Einführung in den Forschungsstand an, worin insbesondere auch die verschiedenen Phasen der Erforschung des sozialen Protestantismus genannt wurden. Des Weiteren wurde die Forschungstradition und die Methode sowie der Aufbau der Arbeit vorgestellt und schliesslich werden die benutzten Quellen diskutiert.

Im folgenden 2. Kapitel wird die Auseinandersetzung des schweizerischen Protestantismus mit der sozialen Frage im 19. Jahrhundert dargestellt.

Das 3. Kapitel gibt einen Überblick über die Forschungsergebnisse, die bereits zum Thema «christliche Unternehmer» existieren. Es beinhaltet ebenfalls die Diskussion der möglichen Gründe, die zur intensivierten Erforschung des Verhältnisses von Religion und Wirtschaft, insbesondere auch der Analyse christlicher Unternehmer, geführt haben. Ferner wird erörtert, welche Definitionen christlicher Unternehmer in der Forschung gegeben worden sind.

Hieran anschliessend schildert das 4. Kapitel, welche Impulse zur Aus­einandersetzung mit der sozialen Frage von der Inneren Mission kamen. Es zeigt, wie protestantische Unternehmer innerhalb der Inneren Mission zusammenfanden, um die soziale Frage gemeinsam zu analysieren und Lösungsstrategien zu deren Überwindung zu entwickeln. Auch die zentrale Rolle, die der Basler Karl Sarasin am Kongress für Innere Mission in Stuttgart (1869) sowie später auch an der Bonner Konferenz und im SABBK spielte, soll näher ausgeführt werden. Zudem wird jedes einzelne Mitglied des SABBK kurz porträtiert, |17| indem insbesondere seine Haltung zur sozialen Frage beleuchtet wird. Es soll aufgezeigt werden, welche sozialpolitischen Haltungen die Unternehmer des SABBK vertraten und die Frage beantwortet werden, ob über die gängige Auseinandersetzung der Inneren Mission mit der sozialen Frage hinausgehende Konzepte propagiert wurden.

Das 5. Kapitel wendet sich dem Porträt des Basler Unternehmers und Politikers Karl Sarasin zu, wobei seine Haltung gegenüber der sozialen Frage besonders ausführlich thematisiert und insbesondere nach seinem gelebten Patriarchalismus und nach seinem Konzept der «Christianisierung der Industrie» gefragt wird. Sarasin wird darin vor dem Hintergrund des «Frommen Basel» gezeichnet und seine sozialdiakonischen und betriebspatriarchalen Initiativen werden ausführlich diskutiert. Um Sarasins praktischen Umgang mit der sozialen Frage zu illustrieren, wird beispielhaft diskutiert, wie er in seiner Fabrik sowie in Politik, Gesellschaft und Kirche konkret auf die soziale Frage reagierte.

Das 6. Kapitel porträtiert mit Johann Caspar Brunner und Henri DuPasquier zwei weitere protestantische Unternehmer und Mitglieder des SABBK sowie ihre Auseinandersetzung mit der sozialen Frage und der Sozialpolitik. Dazu wird insbesondere nach Gemeinsamkeiten der beiden Unternehmer mit Sarasin und Unterschiede zu ihm gefragt. Zusätzlich stellt das Kapitel mit dem Nationalökonomen Victor Böhmert das zweitwichtigste Mitglied des SABBK und einen zentralen und originellen Vertreter des sozialen Kulturprotestantismus vor. Anhand des Vergleichs von Sarasin mit diesen drei Persönlichkeiten soll gleichzeitig die Frage beantwortet werden, wieso sich der SABBK kurze Zeit nach seiner Gründung bereits wieder auflöste.

Im 7. Kapitel sollen die Resultate und Erkenntnisse in einer Schlussbetrachtung reflektiert und in den grösseren Zusammenhang gestellt werden. Dabei wird die Bedeutung der Ergebnisse für den Forschungsstand aufgezeigt, die Ausgangsthese diskutiert und nach dem Forschungsdesiderat gefragt. Zuletzt sollen schliesslich Anschlussmöglichkeiten an die Ergebnisse aufgezeigt werden.

Im Anhang wird eine Quelle ediert, die Aufschluss über die Auseinandersetzung des «Frommen Basel», insbesondere von Sarasin, mit der sozialen Frage gibt. In der Forschung wird regelmässig auf diesen Text verwiesen, ediert wurde er bislang jedoch nicht. Eine Hinführung zu diesem Text findet sich im 5. Kapitel, speziell unter Abschnitt «5.6.2 Der erste Basler Klassenkampf, das Basler Fabrikgesetz (1869) und eine Konferenz im christlichen Vereinshaus zur sozialen Frage». |18|

1.5 Quellen

Wie das Literaturverzeichnis und die Liste der Archive mit den Quellen zeigen, wurde für die Untersuchung sehr unterschiedliches Quellenmaterial miteinbezogen. Der Centralausschuss für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche verstand sich lediglich als Initiator, nicht aber als Träger der Bonner Konferenz und des SABBK.14 Deshalb ist in den «Fliegenden Blättern», dem offiziellen Publikationsorgan der Inneren Mission, nur die erste Phase der Bewegung beschrieben. Da sich der SABBK nicht in einem Verein organisierte, sondern einen losen Zusammenschluss darstellte, konnte beim Nachzeichnen der Bewegung nicht auf offizielle Sitzungsprotokolle zurückgegriffen werden. Zur Rekonstruktion der geschichtlichen Entwicklung des SABBK wurden deshalb neben ungedruckten Archivalien in verschiedenen Archiven (ADW, StABS und AdRH) Veröffentlichungen wie die Zeitschrift Concordia, die «Schweizerische Zeitschrift für Gemeinnützigkeit» sowie die Korrespondenz der Mitglieder des SABBK herangezogen. Auch die Hinführung zum Thema der sozialen Frage im 2. Kapitel, insbesondere die Darstellung der Haltung des schweizerischen Protestantismus zur sozialen Frage, basiert auf Primärquellen, wie beispielsweise auf den veröffentlichten Synodeprotokollen der Zürcher Kirche, den publizierten Reden der schweizerischen Predigergesellschaft oder auf Zeitschriftartikeln aus den Publikationsorganen der verschiedenen theologischen Richtungen. Die Überzeugungen der SABBK-Mitglieder sind gut zugänglich, da diese ihre Meinungen in Publikationen kundtaten oder in diversen Zeitschriften veröffentlichten. Um die sozialpolitische Bedeutung der jeweiligen Mitglieder präzis beschreiben zu können, wurde zusätzliches Archivmaterial (aus den Archiven ABM, StAAG, BAR und UBBS) herbeigezogen.

Da die Primärquellen aus verschiedenen Bibliotheken und Archiven stammen und deshalb teilweise nicht einfach zugänglich sind, habe ich mich bemüht, viele Zitate in der Arbeit abzudrucken, damit der Leser die Quellen zumindest ausschnittweise zur Verfügung hat und so meiner Argumentation besser folgen kann. Die Quellentexte habe ich dabei wenn möglich immer in ihrer ursprünglichen Schreibweise stehenlassen und das «[sic!]» um der besseren Lesbarkeit Willen bewusst nur selten eingesetzt. Zentrale Zitate der Sekundärliteratur sollen jeweils ebenfalls helfen, meine Argumentation und Einschätzung nachvollziehbar und transparent zu machen.